Thiele: Planer brauchen langfristige Perspektive
VBI-Präsident Jörg Thiele im Ingenium-Interview.
In gut einem halben Jahr ist Bundestagswahl – was erwarten Sie?
Vor allem eine rasch handlungsfähige Regierung. Eine Hängepartie, wie 2017 können wir uns in dieser Krise nicht noch einmal leisten. Dieses Mal muss es schneller und stabiler gehen. Unser Land steht vor sehr großen Herausforderungen: Wie schaffen wir den wirtschaftlichen Aufschwung, mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und wie mehr Klimaschutz, ohne die Wirtschaft zu schwächen? Dafür brauchen wir eine Bundesregierung, die Vertrauen bildet und Verlässlichkeit schafft.
Stichwort Wirtschaft, wie kommt Deutschland rasch wieder auf die Beine?
Aus meiner Sicht haben wir die Chance, aus einer wirtschaftlichen Dynamik heraus zu wachsen und so auch die Schulden wieder abzubauen. Die Forderung nach Steuererhöhungen ist Populismus. Die Wirtschaft braucht schnell Rahmenbedingungen, die zu einer wirtschaftlichen Belebung führen. Wir fordern schon lange, Überbürokratisierungen abzuschaffen und über Steuersenkungen nachzudenken. Der BDI hat im Januar ein Steuermodell vorgelegt, mit dem wir in Deutschland endlich von den im internationalen Vergleich extrem hohen Unternehmenssteuern runterkommen.
Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung.
Was sind die spezifischen Forderungen der Planungswirtschaft nach der Coronakrise?
Unsere VBI-Umfragen zeigen immer wieder, dass rund 80 Prozent der Unternehmen bisher nur vereinzelte Auftragsstornierungen haben, aber etwa 20 Prozent mit größeren Problemen konfrontiert sind. Das ist zwar im Vergleich zu anderen Branchen weniger brisant, doch immer nur eine Momentaufnahme. Wenn die Steuerausfälle zu weniger Investitionen führen, wirkt sich das erst in etlichen Monaten in den Planungsbüros aus. Deshalb brauchen wir einen kompletten Ausgleich der kommunalen Steuerausfälle. Das gibt den Unternehmen eine Perspektive und hilft vor allem dabei, den enormen Investitions- und Sanierungsstau der öffentlichen Hand abzubauen. Deutschland darf jetzt bei Infrastruktur, Energie und Digitalisierung nicht auf die Bremse treten.
Kommunale Steuerausfälle müssen ausgeglichen werden.
Sind die Planungsunternehmen denn in der Lage, das zu bewältigen?
Ja, die Planungswirtschaft braucht nur eine langfristige Perspektive. Damit entsteht Sicherheit für Investitionen in den Unternehmen. Ganz wichtig ist, in Ausbildung und Nachwuchs zu investieren. Wir erinnern uns noch gut, wie viel Unsicherheit das Auf und Ab der Bau- und Planungswirtschaft früher geschaffen hat. Das wirkt bis heute fort. Ein Drittel unserer Unternehmen sieht als größtes Hindernis für ihre wirtschaftliche Entwicklung den Mangel an Nachwuchs. Der Beruf muss attraktiver wahrgenommen werden. Vor allem muss die gesellschaftliche Verantwortung mehr hervorgehoben werden. Wir Ingenieure schaffen Zivilisation.
Ein Hemmnis bei großen Projekten sind auch überlange Planungsverfahren, was kann hier getan werden?
Investitionen funktionieren nur, wenn die Bürokratie ihnen nicht im Weg steht. Die Planungsprozesse dürfen nicht ins Unendliche hinausgezögert werden. Hier ist dringend Beschleunigung auf allen Ebenen erforderlich. Insbesondere die Digitalisierung der Behörden, aber auch die Beteiligungs- verfahren sind hier Thema.
Können wir von der Tesla-Baustelle lernen, wie es schneller geht?
Tesla ist keine Blaupause. Hier steht ein Unternehmen voll im finanziellen Risiko, um im Zweifel auch alles wieder abzureißen. Vielmehr brauchen die Investoren Rahmenbedingungen, die verlässlich und so unbürokratisch sind, dass sie Investitionen fördern. Von Tesla können wir allerdings lernen, dass es hilft, wenn Bauherren Verantwortung übernehmen und ein Projekt zielorientiert voran- treiben, das fördert sicher die Geschwindigkeit.
Steht auch der Klimaschutz schnelleren Planungsprozessen entgegen?
Nein, im Gegenteil, die Planungs- und Bauwirtschaft muss starker Partner beim Klimaschutz sein. Das Bauen trägt weltweit erheblich zu den Emissionen bei. Gerade wir Ingenieure können doch innovative Lösungen finden, die unsere Umwelt schützen und gleichzeitig bezahlbar sind, damit die Baupreise nicht ins Unendliche steigen. Die energetische Gebäudesanierung muss deutlich beschleunigt werden, hierfür brauchen wir noch mehr Anreize, auch steuerlich. Außerdem brauchen wir finanzielle und zeitliche Freiräume, um neben dem Geschäft auch forschen und entwickeln zu können.
Kommen wir zu einem anderen Thema, der Honorarordnung. Ist mit der HOAI-Novellierung nun alles in Ordnung?
Wir sind zwar froh, dass in letzter Minute noch der Begriff der Angemessenheit in das HOAI-Rahmengesetz aufgenommen wurde, doch ist die HOAI als Gesamtkonstrukt nicht mehr aktuell. Vor allem muss nun eine Anhebung der Tafelwerte kommen. Die Kostenentwicklung der letzten zehn Jahre spiegelt sich ja an keiner Stelle wider. Durch BIM hat sich vieles geändert, ist aber nicht weniger aufwändig geworden. Das alles muss in eine Novellierung einfließen. Und wir müssen an die Vergaben ran. Wir beobachten noch oft, dass der billigste Bieter zum Zuge kommt. Das ist weder im Interesse der Bauherren noch der Gesellschaft und schon gar nicht der Branche. Wir leisten hier natürlich auch bei unseren Mitgliedern Überzeugungsarbeit. Aber wenn Planer monopolistischen Auftraggebern gegenüberstehen, ist die Situation schwierig. Vielleicht führen die Erfahrungen der Coronoakrise zu einem Umdenken …
In Bezug auf?
… in Bezug auf den Wert einer Arbeitsleistung. Nichts ist doch höher einzuschätzen, als hochqualifizierte Arbeit – zum Wohle der Gesellschaft. Denn wer plant denn die Krankenhäuser, Wasserwerke, Funkmasten?
Für viele sind das selbstverständliche Einrichtungen der Grundversorgung…
Aber was ist nach dieser Krise noch selbstverständlich?
Das ist eine gute Überleitung zu Ihnen als Person. Was bedeutete die Krise für Sie und Ihr Unternehmen?
Auch in unserem Unternehmen sind vereinzelt Aufträge weggebrochen, insgesamt aber im normalen Rahmen. Stärker als diese Veränderungen haben die neuen Formen der Zusammenarbeit unser Unternehmen verändert. Das Mobile Working und vor allem flexible Arbeitszeiten werden wohl bleiben. Vieles davon ist zur Gewohnheit geworden und hat die Produktivität nicht beeinträchtigt. Was für eine schöne Erkenntnis, dass sich Zeit sinnvoller einsetzen lässt, als für zig Anreisen zu Besprechungen. Die Zukunft fokussiert sich vielleicht mehr auf den echten persönlichen Austausch, ohne sinnentleerte Formate.
Sie haben sich gegen ein Recht auf Homeoffice ausgesprochen, warum?
Das Thema ist ja nicht neu. Als attraktiver Arbeitgeber hat man auch vor Corona schon Homeoffice und flexible Arbeitszeitmodelle angeboten. Aber wogegen wir uns wehren, ist eine überregulierte Form des Anrechts. Wer möchte denn schon bei seinen Mitarbeitern überprüfen, ob der häusliche Schreibtisch ergonomisch eingerichtet wurde? Auch die Arbeitnehmer wollen flexibel sein, aber nicht überreguliert werden. Mit dem Heilschen Gesetzentwurf würde der Staat in Freiheiten eingreifen. Das geht zu weit.
Wird der VBI als recht kleiner Verband mit so einer Positionierung gehört?
Absolut. Auch das ist eine Erkenntnis dieser Krise, nie wurden Verbände mehr gehört als jetzt. Auch wenn wir nicht alles erreichen, waren wir doch noch nie in einem so intensiven Austausch mit der Politik und mit großen Auftraggebern wie beispielsweise der Deutschen Bahn, der Autobahngesellschaft oder dem Bundesinnenministerium. Durch die regelmäßigen Umfragen wissen wir, wo es brennt und wo wir den Fing„er in die Wunde legen müssen. Gleichzeitig können wir die Unternehmen über die für sie wichtigen Punkte informieren, und kompetente Hilfe anbieten. Besonders in der Krise zeigt sich die Relevanz einer Verbandsmitgliedschaft.
Ich wünsche mir 2021 mehr persönlichen Austausch.
Was bedeutet das für dieses Jahr?
Im VBI wollen wir 2021 noch mehr Möglichkeiten zum Austausch schaffen. Hierfür planen wir zwei Verbandstage statt einem. Beide mit spannenden politischen und fachlichen Themen. Sollten wir uns nicht treffen können, wird alles digital und natürlich so, dass es auch Spaß macht, dabei zu sein.